Hänsel und Gretel

Das Märchen „Hänsel und Gretel“ (Grimms Märchen Nr. 15) erzählt die Geschichte von zwei Geschwistern, die von ihren verzweifelten Eltern im Wald ausgesetzt werden. Im dichten Wald entdecken sie ein verführerisches Lebkuchenhaus, das jedoch von einer bösen Hexe bewohnt wird. Nachdem die Hexe die Kinder gefangen nimmt, gelingt es Hänsel und Gretel, mit List und Mut zu entkommen. Sie besiegen die Hexe und kehren mit einem Schatz heim, wodurch sich ihr Leben für immer verändert.

Das Märchen von der Hexe im Lebkuchenhaus

Es war einmal ein armer Holzhacker, der mit seiner Frau und zwei Kindern in einer kleinen Hütte am Rand eines Waldes lebte. Der Wald war dicht und voller Schatten, und es gab Geschichten über die seltsamen Dinge, die dort vor sich gingen. Das Leben der Familie war hart. Der Holzhacker arbeitete den ganzen Tag, doch es reichte nie für genug Essen. Die Frau war immer unzufrieden, und ihre Gedanken wurden immer finsterer.

Eines Abends, als die Kinder schon schliefen, flüsterte sie ihrem Mann zu: „Wir müssen etwas tun. Wir können nicht mehr für sie sorgen. Wir bringen sie morgen in den Wald und lassen sie dort zurück. Sie finden nie wieder den Weg nach Hause.“

Der Holzhacker wollte nicht zustimmen, doch seine Frau überzeugte ihn. Er wusste, dass sie immer ihre eigenen Wege ging und dass sie nicht locker lassen würde. In der Nacht hörte er das leise Rascheln der Blätter, als die Frau sich noch einmal in der Dunkelheit bewegte. Etwas in ihm sträubte sich, aber es war bereits entschieden.

Hänsel und Gretel, die das Gespräch durch die dünnen Wände belauscht hatten, fühlten sich von einem kalten Schauer erfasst. „Sie wollen uns loswerden“, sagte Gretel mit zitternder Stimme. „Was sollen wir tun?“ Hänsel wusste sofort, was er tun musste. In der Nacht schlich er sich hinaus, sammelte Kieselsteine und legte sie vorsichtig neben das Haus. Als er zurückkam, flüsterte er: „Ich werde einen Weg finden, uns zu retten.“

Am nächsten Morgen, als der Wald noch in Nebel gehüllt war, gingen die Eltern mit den Kindern in den Wald. Die Mutter gab ihnen ein kleines Stück Brot, mehr nicht, und bat sie, den Weg zu verfolgen, den sie längst kannte. Hänsel aber hatte die Kieselsteine in seiner Tasche und ließ sie auf dem Boden fallen, als sie immer tiefer in den Wald gingen.

„Warum bleibst du immer stehen?“, fragte der Vater, als er merkte, dass Hänsel sich öfter umdrehte.

„Ich sehe nach den Vögeln, die in den Bäumen sitzen“, antwortete Hänsel, obwohl er wusste, dass er nur die Kieselsteine betrachtete, die den Weg zurückwiesen.

Als sie schließlich tief im Wald ankamen, bat die Mutter die Kinder, am Feuer zu warten, während sie und der Vater weiter Holz suchten. „Bleibt hier und bewegt euch nicht von der Stelle“, sagte sie. Die Kinder saßen schweigend, aßen ihr Brot und sahen dem lodernden Feuer zu. Doch als sie nach einer Weile aufblickten, war es still. Der Wald war leer. Die Eltern waren verschwunden.

Hänsel und Gretel warteten noch lange, doch niemand kam zurück. Schließlich stand Hänsel auf und versuchte, die Kieselsteine zu finden, die er auf dem Weg zurückgelegt hatte. Doch in der Dunkelheit des Waldes konnte er sie nicht mehr erkennen. Sie waren verschwunden. Die Vögel hatten sie gefressen.

„Was sollen wir tun?“, fragte Gretel, ihre Stimme war fast ein Flüstern. „Wir können nicht mehr zurück.“

„Komm, wir müssen weitergehen“, sagte Hänsel. „Der Wald führt uns irgendwohin.“

So liefen sie die ganze Nacht, immer tiefer hinein. Der Wald schien endlos zu sein, und es war, als ob die Bäume selbst sich zu bewegen begannen. Am nächsten Morgen fanden sie ein Häuschen. Doch es war kein gewöhnliches Haus. Das Dach war mit Zuckerguss bedeckt, und die Fenster glänzten wie Augen, die sie anstarrten. Der Duft von Süßigkeiten lag in der Luft, und für einen Moment vergaßen die Kinder ihren Hunger.

„Lass uns ein Stück abbeißen“, sagte Hänsel. „Vielleicht finden wir hier jemanden, der uns hilft.“ Sie brachen ein Stück vom Dach ab, und als sie hineinbissen, hörten sie plötzlich eine knarrende Stimme: „Wer isst mein Häuschen?“

Gretel erstarrte, und auch Hänsel spürte einen kalten Schauer, doch sie aßen weiter. Die Tür öffnete sich, und eine alte Frau stand im Eingang. Ihr Gesicht war faltig, und ihre Augen glänzten seltsam. Sie lächelte, aber es war kein freundliches Lächeln.

„Kommen euch herein, Kinder. Ihr habt Hunger, nicht wahr? Ich habe genug zu essen für euch“, sagte sie mit einer Stimme, die sie erschauern ließ.

Hänsel und Gretel folgten der Frau, die sie ins Innere des Hauses führte. Es war warm und roch nach Gebäck, aber etwas an der Frau war seltsam. Ihr Blick war scharf, und sie beobachtete die Kinder immer wieder.

„Setzt euch, esst und ruht euch aus“, bat die Frau. Doch als sie die Tür hinter sich zuschloss, veränderte sich ihre Miene. „Ihr werdet bald mehr brauchen als nur Essen“, murmelte sie.

In der Nacht, als sie sich in den Bettdecken ausgestreckt hatten, spürten die Kinder, dass etwas nicht stimmte. Die Frau war verschwunden, und der Raum war von einem bedrohlichen Schweigen umhüllt.

Am nächsten Morgen, als die Kinder versuchten, sich zu befreien, fanden sie sich in einem Käfig wieder. Die Hexe hatte sie gefangen, und sie wollte sie bald in einen Kochtopf werfen.

„Ich werde euch zum Abendessen zubereiten“, sagte die Hexe mit einem freudlosen Lächeln. Doch sie hatte einen Fehler gemacht: Sie hatte nicht mit Gretel gerechnet.

Während die Hexe mit dem Ofen beschäftigt war, versuchte Gretel verzweifelt, einen Ausweg zu finden. Schließlich schlüpfte sie an der Hexe vorbei und stieß sie in den Ofen. Ein lautes Krachen ertönte, und die Hexe brüllte vor Schmerz und Angst, doch es war zu spät. Der Ofen verschlang sie.

Gretel eilte zu ihrem Bruder und befreite ihn. Gemeinsam durchsuchten sie das Haus und fanden einen Schatz – Edelsteine, Gold und Silber, die die Hexe von all ihren früheren Opfern gestohlen hatte.

„Wir müssen zurück nach Hause“, sagte Hänsel. „Der Weg mag lang sein, aber wir haben das, was wir brauchen.“

Und so machten sie sich auf den Rückweg. Der Wald war immer noch unheimlich und fremd, doch diesmal fanden sie den Weg, und als sie endlich zu ihrem Vater zurückkehrten, war dieser froh, sie wiederzusehen. Die Mutter war verschwunden, und der Holzhacker wusste, dass sie nie wieder zurückkehren würde.

Hänsel und Gretel lebten fortan in Wohlstand, doch der Wald, der nie wirklich ganz sicher war, blieb immer ein Ort, den sie mit Vorsicht betrachteten. Aber sie wussten, dass sie einander immer beschützen würden – egal, was noch kommen mochte.